Was ist eigentlich Selbstregulation?
Immer wieder liest und hört man in Zeitungen und Medienberichten von dem Begriff „Selbstregulation“. Doch was genau versteht man darunter eigentlich?
Wissenschaftler*innen, die sich bereits seit langem mit diesem psychologischen Konstrukt beschäftigen, beschreiben es so: Die Regulation des Selbst durch das Selbst (intrinsisch) entsteht mit zunehmender Entwicklung und wird Selbstregulation genannt (Nigg et al. 2017). Selbstregulation ist die Fähigkeit, eigene Gedanken, Gefühle und Verhalten an die Anforderungen einer bestimmten Situation anzupassen, um persönliche Ziele optimal verfolgen zu können (Gawrilow & Rauch 2017).
Das klingt zunächst vielleicht ein bisschen technisch. Doch die folgenden Alltags-Beispiele veranschaulichen ganz konkret, was „Selbstregulation“ ist bzw. in welchen Situationen wir sie anwenden: Ein Individuum zeigt die Fähigkeit zur Selbstregulation, wenn es erst einmal nach-denkt, bevor es handelt; wenn es sich konzentrieren und dem Abschweifen von Gedanken widerstehen kann, auch wenn es sich gerade in einer lärmbelasteten Umgebung befindet. Oder wenn wir das Smartphone einfach mal in eine Schublade legen, damit dem Drang der permanenten Erreichbarkeit widerstehen und uns Zeit nur für uns selbst nehmen und entspannen. Die Fähigkeit zur Geduld, wenn das Warten mal wieder länger dauert, entspringt auch der Fähigkeit zur Selbstregulation. Beispielsweise müssen Kinder zwischen drei und sechs Jahren ein hohes Maß an Selbstregulationsfähigkeit aufbringen, wenn sie sich bei einem Spiel an Regeln halten und warten müssen, bis sie an der Reihe sind; oder wenn die Mutter sich gerade im Gespräch mit dem Vater befindet und das Kind deshalb warten muss, bis es sein Anliegen an seine Eltern richten kann.
Auch Eltern sind häufig gefordert, in Diskussionen mit ihren Kindern Ruhe zu bewahren und zu reflektieren, auch wenn sie eigentlich dem inneren Impuls nachgeben und die Stimme er-heben möchten. Und unsere Selbstregulationsfähigkeit ist auch dann gefragt, wenn wir uns vornehmen wollen, z.B. auf den regelmäßigen Genuss von Süßem zu verzichten, auch wenn uns bei dem Gedanken daran schon das Wasser im Mund zusammenläuft.
Ansprechperson
Prof. Dr. med. Joachim Fischer
Zentrum für Präventivmedizin und Digitale Gesundheit (CPD), Abteilung Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg
Doch was nützt uns diese Fähigkeit eigentlich?
Nicht nur Medien berichten über das Thema Selbstregulation. Es gibt auch viele Forschende, die sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema „Selbstregulation“ beschäftigt haben. Eine Langzeitstudie beispielsweise, in der Menschen von Geburt an bis ins Erwachsenenalter ca. 30 Jahre lang begleitet wurden, zeigte, dass Menschen, die schon früh eine schlechte Selbstregulationsfähigkeit hatten, eine schlechtere Gesundheit hatten, mehr Drogen konsumierten, mehr finanzielle Probleme hatten und häufiger strafrechtlich verfolgt wurden als Menschen, die schon früh eine hohe Selbstregulationsfähigkeit hatten. Und das unabhängig von Geschlecht, IQ oder finanzieller Situation (Moffit et al. 2011).
Wenn wir uns dieses Studienergebnis einmal vergegenwärtigen, dann bedeutet das dreierlei:
1. Wenn eine bessere individuelle Selbstregulation die Kriminalitätsrate senken (und da-mit die öffentliche Sicherheit verbessern), den Drogenkonsum verringern und die Gesundheit und die finanzielle Situation der Menschen verbessern kann, dann ist diese Fähigkeit ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.
2. Es gibt offenbar Faktoren unabhängig von Geschlecht, IQ, oder sozialer und familiärer Herkunft, die zu einer guten Entwicklung der Selbstregulationsfähigkeit beitragen können.
3. Man müsste Wege/Orte finden, die Kindern dabei helfen können, eine gute Selbstregulationsfähigkeit zu entwickeln.
Welche Orte könnten Kindern dabei helfen, eine gute Selbstregulationsfähigkeit zu entwickeln?
Bevor wir diese Überlegung vertiefen, sollten wir noch zwei Dinge wissen: Die ersten Lebensjahre sind für die Entwicklung der Selbstregulationsfähigkeit am wichtigsten, da in dieser Entwicklungsphase zukunftsträchtige Synapsenverknüpfungen im frühkindlichen Gehirn entstehen. Zudem ist die Umgebungs- und Beziehungs-Qualität, die Kinder in den Lebensbereichen ihrer frühen Kindheit erleben, grundlegend für die Entwicklung einer guten Selbstregulationsfähigkeit. Somit spielen einerseits das Elternhaus bzw. der Kernfamilienkontext, andererseits jedoch auch die pädagogische Qualität im Kindergarten und die Interaktionsqualität der Kinder mit ihren (Bezugs-) Erzieher*innen eine maßgebliche Rolle in diesem Zusammenhang.
Übrigens: Kindergärten sind nicht dazu da, dass Eltern arbeiten gehen können. Kindergärten sind Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, in denen Kinder wichtige Beziehungserfahrungen mit Erwachsenen und Gleichaltrigen machen. Sie bilden mit dem Familienumfeld zusammen eine wichtige Einheit und Partnerschaft, die dem Kind die bestmögliche Entwicklung er-möglichen soll. Damit sind Kindergärten sind wichtige Präventionssettings.
Am 18. Juni 2015 verabschiedete der Bundestag das Präventionsgesetz, das folgende Ziele verfolgt: „Mit dem Präventionsgesetz stärken wir die Gesundheitsförderung direkt im Lebensumfeld – in der Kita, der Schule…“
(Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2015/juni-2015/praeventionsgesetz.html)
Doch wie kann der Kindergarten einen Beitrag zur Prävention hinsichtlich der SR-Entwicklung leisten? Wie lässt sich die Fähigkeit zur Selbstregulation im Kindergarten konkret unterstützen?
Faktoren, durch die die Fähigkeit zur Selbstregulation im Präventionssetting Kindergarten unterstützt werden kann, finden wir derzeit im Rahmen einer unserer Studien heraus. Die Ergebnisse stehen zwar noch nicht final zur Verfügung. Doch wir können schon einmal verraten, dass die Prozessqualität im Kindergarten (z.B. die Interaktionsqualität zwischen Erzieher*in und Kind) eine sehr wichtige Rolle bei der SR-Entwicklung spielt.
Konkretere Unterstützungsmöglichkeiten im Präventionssetting Kindergarten posten wir hier in ein paar Wochen.
Wir können euch allerdings heute bereits Faktoren nennen, durch die die Fähigkeit zur Selbstregulation im Familienkontext unterstützt werden kann. Sie sind in drei Bereichen angesiedelt: emotionale Unterstützung, Unterstützung beim Entdecken der Welt, Organisation des Familienlebens.
Faktoren, die die Selbstregulation im Familienkontext fördern können:
Emotionale Unterstützung durch:
- Bindungssicherheit
- Mütterliche Sensibilität/Feinfühligkeit, wenn sie auf das Kind reagiert
- Wenig Bestrafung
- Sozialisation von Gefühlen
- Unterstützen beim Entdecken der Welt durch:
- Stärken der Autonomie des Kindes
- Kognitive Stimulation
Gleichzeitig gibt es auch Faktoren, die der Entwicklung der Selbstregulation nicht so zuträglich sind:
Emotionale Unterstützung durch:
- Wenig mütterliche Wärme
- Konflikte
- Elternstress
- Unterstützen beim Entdecken der Welt:
- Häufiges Maßregeln des kindlichen Verhaltens
- Organisation des Familienlebens
- Unvorhersehbarkeit des Tages- bzw. Wochenablaufes
- Chaos, Abwesenheit von Routinen